16. September 2024

Alte Zöpfe

Alte Zöpfe

Text: Robert Isenberg und Norbert Schramm

veröffentlicht im Magazin “Wellensittich Welt” 5/2022

Vor einigen Jahren haben wir uns im Sächsischen Kanarien- und Vogelzüchter-Verband e. V. (SKV) mit den unterschiedlichen Bewertungssystemen auseinandergesetzt. Die Kanarien-Züchter sind mit Kollektionen auf Bewertungsschauen seit einem Jahrhundert sehr vertraut. Nicht ohne Grund bezeichnen sie das Ausstellen einer Kollektion als „Königsdisziplin“. In jeder Vermehrungszucht wird es immer wieder einen Vogel geben, der als hervorragender Vogel Titel und Preise gewinnen kann. Vier solcher hervorragende Vögel „auf die Stange“ zu bekommen ist jedoch deutlich schwieriger und erfordert ein anderes Zuchtmanagement.

Erster alter Zopf - Kollektionen

Es war für uns deshalb nicht einzusehen, warum nicht auch Zebrafinken, Reisamadinen, Rosenköpfchen oder auch Wellensittiche als Kollektionen ausgestellt werden können. Alles sind Vögel! All diese Arten sind domestiziert und es existiert für sie ein Rassestandard nach denen sie gezüchtet, ausgestellt und bewertet werden. Wir haben deshalb im SKV die Möglichkeit geschaffen, diese Vogelarten auch als Kollektion ausstellen zu können.

Wie so oft im Leben, gab es für diesen Vorschlag Zustimmung und Ablehnung. Der Widerstand mancher Züchter zur Kollektionseinführung beruhte auf deren mangelnder Spezialisierung auf eine Art und/oder Farbe. Wer in seinem Stall eine Vielzahl unterschiedlicher Arten mit vielen unterschiedlichen Farben hat, wird es schwer haben vier gleiche Vögel als Kollektion zusammenzustellen. Nun gut, das ist jedem selbst überlassen. Er kann dann eben „nur“ Einzelvögel ausstellen. Wer sich jedoch spezialisiert und wenige Farben in strikter Linienzucht zur Vervollkommnung bringen will, hat durchaus die Chance eine Kollektion zusammenstellen zu können – auch mit vergleichsweise wenigen Zuchtvögeln. Die Selektion auf gute Elterneigenschaften, Federqualität (und damit Beeinflussung der Silhouette) und Farbe lässt sich mit einem oder zwei Farbschlägen besser durchführen als mit einer Vielzahl unterschiedlicher Vögel. Das kann in der Farben- und Schau-Wellensittich-Zucht nicht anders sein!

Mit der Einführung der Kollektionen für alle Sittiche und für alle Exoten haben wir bereits den ersten alten Zopf abgeschnitten. Grundsätzlich ist es aber jedem Züchter/Aussteller freigestellt, ob er Einzelvögel oder Kollektionen ausstellen will und kann! Unser Meisterklassensystem lässt beides zu.

Inzwischen hat der DKB diese Regelung eingeführt.

Zweiter alter Zopf - Geschlechtertrennung

Jeder Aussteller kann auch ganz frei entscheiden, ob er Alt- oder Jungvögel, Männchen oder Weibchen ausstellen möchte. Es ist jedem Züchter klar, dass manche Vögel im Auge des Betrachters (Zucht- und Preisrichter) Vor- und Nachteile haben. Bei manchen Rassen sind die Männchen im Vorteil, bei anderen die Weibchen. So ist es bei vielen Kanarienrassen (z. B. bei Gloster, Lancashire, einigen Kanarienfarben) und auch bei Wellensittichen und anderen Psittaciden. Allerdings gibt es immer nur einen Standard für die jeweilige Art/Rasse/Farbschlag in Bezug auf die Gestalt (Form), Gefieder und Haltung.

Auch bei den Wellensittichen gibt es nur einen Standard – gleichgültig welches Geschlecht oder Alter der Vogel hat. Der eine wird im Vorteil sein, der andere nicht. Damit sind wir beim Zopf Zwei – das Geschlecht. Die Prämierung „Bestes Gegengeschlecht“ ist ein solcher. Wenn ein Männchen bester seiner Klasse ist, muss das Beste der „hässlichen“ Weibchen nicht auch noch einen Preis erhalten. Und umgekehrt! Wichtig allein ist die möglichst beste Annäherung des männlichen bzw. des weiblichen Vogels an das Idealbild.

Dritter alter Zopf - Altersbeschränkung

Bei vielen Vögeln entwickelt sich die Nachzucht spät oder gar erst im zweiten oder dritten Jahr. Deshalb gibt es im SKV keine Altersbeschränkung für Ausstellungsvögel, womit wir bei dem alten Zopf Nr. Drei sind. Es ist durchaus möglich, dass ein junger Schau-Wellensittich bereits im ersten Jahr besser ist als ein Altvogel der Konkurrenz. Dann verdient der Jungvogel mit Recht den Sieg. Ob und wie oft das vorkommt/vorkommen kann, ist unserer Meinung nach unerheblich.

Vierter alter Zopf - Schauklassen

Im DKB gibt es bei Schau-WS 31 Gruppen mit 100 Schauklassen, die jedoch noch einmal mit 4 multipliziert werden müssen, da eine weitere Aufteilung in Alt- und Jungvögel und dann noch mal in Männchen und Weibchen gemacht wird. Das sind 400 theoretisch mögliche „Sieger“!

Beim DWV ist es ähnlich. 31 Gruppen mit 100 Schauklassen, die noch einmal in Alt- und Jungvögel aufgeteilt sind. Im Gegensatz zum DKB ist keine weitere Aufteilung in Männchen und Weibchen vorgeschrieben! In der Praxis wird gerade das trotzdem gemacht! Berücksichtigt man noch die jeweils drei Züchterstufen, kommt man rechnerisch auf 1200 mögliche „Sieger“.

MKL_WS

Es ist jedoch Tatsache, dass auch auf den größten Spezialschauen niemals alle Schauklassen besetzt sind. Auch wenn nur ein einziger Vogel in einer Schauklasse steht, wird er ohne Konkurrenz Klassensieger. Nach unserer Auffassung ist das kein Wettbewerb! Deshalb werden die nur gering beschickten Schauklassen nach festgelegten Regeln zu „Meisterklassen“ zusammengelegt. Die Vögel einer Meisterklasse konkurrieren dann miteinander und der beste Vogel und/oder beste Kollektion bekommt einen Meistertitel. Damit haben wir den vierten alten Zopf abgeschnitten.

Fünfter alter Zopf - Auf- und Abstieg

Im DWV und DSV gibt es die Auf- und Abstiegsregelung, die sich an den jährlich errungen Siegen der Aussteller orientiert. Die Folge davon ist die Einteilung der Aussteller in Züchter, Fortgeschrittene und Championzüchter nebst den zugehörigen Schauklassen. Der Züchter wird in eine Schublade gesteckt und seine züchterische Wertigkeit festgeschrieben. Nach unserer Auffassung spielt es überhaupt keine Rolle, ob der Schau-WS vom Championzüchter, vom Fortgeschrittenen oder vom „Züchter“ stammt. Allein gültig ist die Schauqualität des Vogels im Vergleich zum Standard. Mit dem Verzicht auf eine Auf- und Abstiegsregel haben wir den fünften alten Zopf abgeschnitten.

Sechster alter Zopf - Platzierung

Bei den Wellensittichen ist es meist üblich, die Qualität der ausgestellten Vögel nach dem Platzierungssystem einzuordnen. Der Preisrichter vergleicht die Vögel einer Schauklasse und legt die Rangfolge vom 1. bis zum 7. Platz fest. Sind alle Vögel einer Schauklasse qualitativ nicht auf einem hohen Stand, bekommt trotzdem der „beste“ Vogel all dieser schlechten Vögel den 1. Platz zugesprochen. Der Aussteller freut sich sicherlich darüber, kann aber die Beurteilung des Preis-/Zuchtrichters und damit die tatsächliche Qualität seines Siegervogels kaum richtig einschätzen.

Eine Prädikatvergabe ist da schon etwas konkreter. Trotzdem sind die Spannen der Prädikate erheblich. Es stellt sich für den Aussteller die Frage: Habe ich gerade noch das Prädikat „sg“ bekommen (85 Punkte) oder hätte ich doch fast ein „v“ bekommen (89 Punkte). Eine Prädikatvergabe zusammen mit einer Endpunktzahl ist schon deutlich konkreter. Für einen Vogel können maximal 100 Punkte (= 100%) vergeben werden. Ein Vogel mit 84 Punkten ist also noch 16% vom Ideal entfernt.

  • Prädikat v         (entspricht    >=   90 Bewertungspunkte)
  • Prädikat sg       (entspricht 85 bis 89 Bewertungspunkte)
  • Prädikat g         (entspricht 80 bis 84 Bewertungspunkte)
  • Prädikat b         (entspricht 75 bis 79 Bewertungspunkte) – entfällt nach neuesten Beschlüssen

Für den Aussteller – und ganz besonders für einen Neuling im Ausstellungswesen – ist eine Punktbewertung jedes Vogels am aussagefähigsten. Im Gegensatz zur Prädikatvergabe mit Endpunktzahl zeigt eine Punktbewertung die Stärken und Schwächen des Vogels in jeder Bewertungsposition auf. Die vergebenen Punktzahlen verdeutlichen, wie der Vogel in jeder einzelnen Bewertungsposition eingeschätzt wird. Der Züchter kann anhand der vergebenen Punkte wesentlich besser einschätzen, wie weit sein Vogel vom angestrebten Ideal entfernt ist, als es bei einer reinen Platzierung der Fall ist.

Jeder Preis-/Zuchtrichter lernt in seiner Ausbildung die Punktvergabe der einzelnen Bewertungspositionen. Aus Zeitgründen – und damit auch aus Kostengründen – wird auf vielen Bewertungsschauen auf eine Durchpunktung verzichtet. Wir tun aber mit dem Platzierungssystem den Ausstellern keinen wirklichen Gefallen, da diese Praxis nur wenig auf die Zucht lenkend einwirkt. Mit der Durchsetzung der Punktvergabe (Durchpunktung oder zumindest Endpunkte) für alle Sittiche und Exoten haben wir den sechsten alten Zopf abgeschnitten.

Es war uns im SKV bewusst, dass es erhebliche Vorurteile von den „alteingesessenen“ Züchtern geben wird, wenn wir wie beschrieben unsere Wettbewerbe organisieren. Nach inzwischen 13 Jahren seit der Einführung dieser Regelungen haben wir nur positive Erfahrungen machen können. Inzwischen werden alle vom SKV organisierten Bewertungsschauen nach diesen grundsätzlichen Regelungen durchgeführt.

Wir hoffen und wünschen uns, dass noch der eine oder andere Züchterfreund diese Veranstaltung mit seinen Vögeln beschicken wird. Es würde uns freuen auch Sie begrüßen zu können.

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